Stadtflucht versus Landflucht – zwei Megatrends treffen aufeinander

Veröffentlicht am 1. Januar 2022

BFW-Geschäftsführer David Jacob Huber vom Landesverband Niedersachsen / Bremen. (Foto: BFW)

Seit es Städte gibt, erleben diese immer wieder verschiedene Zyklen. Auf eine Zeit des Wachstums und des Wohlstands folgt immer wieder auch eine Zeit des Schrumpfens und damit eine Zeit der Armut. Immer wieder haben überregionale Ereignisse die Entwicklung der Städte beeinflusst. Aber auch die Veränderungen in der Gesellschaft. Früher hatten Städte klare Aufgaben. Sie dienten als Stützpunkte für die Herrschenden oder auch als Orte der Zuflucht und Sicherheit. Im Laufe der Zeit entwickelten sie sich aber auch zu Zentren für Handel, Wissenschaft, Kunst und Kultur.

Heute erfüllen Städte diese Funktion noch immer und sind wie seit mittelalterlicher Zeit auch stets behütete Heimstatt fürs Wohnen und Leben. Ihre Funktion als Zufluchtsort ist heute nicht mehr relevant, daher sind auch Stadtmauern und befestigte Wehranlagen aus den Stadtbildern verschwunden. Aktuell befinden sich viele unserer Städte in einer Krise, die in den Veränderungen der Gesellschaft, aber auch in den Ansprüchen der Bürger begründet sind. Seit dem Zweiten Weltkrieg spielen die Innenstädte eine wichtige Rolle im Einzelhandel und der Versorgung der Bürger. Die ausgeprägten Fußgängerzonen, die zum Schlendern und Verweilen einladen sollen, sind ein beredtes Zeugnis dafür.

Daneben gibt es viele Angebote zur Freizeitgestaltung. Gastronomie, Theater, Kinos und andere Einrichtungen locken die Menschen in die Stadt. So verwundert es nicht, dass in den letzten Jahrzehnten die Stadt auch als Wohnort für die Bevölkerung immer interessanter geworden ist. Zumal sich an den Stadträndern immer mehr Unternehmen vom Handwerk bis zu Industrie angesiedelt haben und für Arbeit und damit auch Wohlstand sorgen. Der Megatrend der Urbanisierung war jahrzehntelang bestimmend und hat vor einiger Zeit seinen Höhepunkt erreicht. Er wurde allerdings auch geschwächt, denn der Bedarf an Wohnraum war und ist größer als das Angebot, die Preise für Mieten oder Kauf sind exorbitant gestiegen.

Das hat dazu geführt, dass vor einigen Jahren ein gegenläufiger Megatrend Fahrt aufgenommen hat – der Trend der Suburbanisierung. Die Menschen verlassen die Städte und suchen Wohnraum im Umland, den sogenannten „Speckgürteln“. Dort wurde immer noch Bauland zur Verfügung gestellt und dank bezahlbarer Mobilität waren die Kultur- und Freizeitangebote auch für die Menschen, die in die Speckgürtel gezogen sind, erreichbar. Zum Einkaufen nutzte man trotzdem immer noch die Innenstädte, die deswegen auch zunehmend vom ansteigenden Verkehrsaufkommen belastet wurden.

blem auf die Innenstädte zu: Einkaufen wird nicht mehr vor Ort im stationären Handel erledigt. Die Versorgung der Bevölkerung übernehmen immer mehr digitale Anbieter. Die Folgen sind fatal. Der Einzelhandel leidet, Geschäfte schließen und Innenstädte sind immer mehr von Leerständen in den Handelsstraßen geprägt. Gleichzeitig nimmt aber der Lieferverkehr zu. Der geschichtlich geprägte Zyklus des Wachsens und Schrumpfens der Städte hat eine mittlerweile ziemlich unberechenbare Wendung genommen. Die große Frage, der wir uns jetzt stellen müssen, lautet ziemlich einfach: „Quo vadis Innenstadt?“ Kreativität und neues Denken sind nötig, neue Wege müssen gefunden werden.

Ist die Innenstadt der Zukunft auch eine Wohnstadt? Autofrei oder nicht? Wie organisiert man den Umbau der Stadt auf die neuen Anforderungen? Was passiert mit den Einzelhandelsflächen, die nicht mehr benötigt werden? Wie aber organisiert man die letzte Meile des digitalen Handels? Wo befinden sich die Verteilzentren für die Waren, die über viele Meilen vom Händler zum Kunden und im Fall des Umtausches wieder zurück transportiert werden müssen? Und wie organisiert man die Innenstadt wieder als Ort des öffentlichen Lebens mit Lebensqualität? Es muss jetzt gehandelt werden, den auch das Umland, der Speckgürtel, leidet zunehmend an den Veränderungen der Städte.

Der Druck auf das dort noch vorhandene Bauland und die Wohnungen nimmt zu, die Preise steigen. Und auch das Verkehrsaufkommen nimmt zu und verlangt Lösungen, insbesondere im öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Kommunen stehen vor der Herausforderung, die öffentliche Infrastruktur auszubauen und zu erweitern. Kitas, Schulen und öffentliche Einrichtungen kosten Geld, das oft nicht vorhanden ist. Somit ist klar: Die Probleme der Städte können nur gemeinsam im Einklang mit den im Speckgürtel gelegenen Kommunen glöst werden. Umgekehrt gilt das aber ebenso.